Cignolin

By | 9. September 2011

Zu einem echten Heilmittel gehört immer eine gute Geschichte: Hier beginnt sie zu Kaiser Willhelms Zeiten. Ausser Teer hatten die Dermatologen damals mehr oder weniger nur Chysarobin zur Behandlung der Schuppenflechte parat. Chysarobin ist ein Harz aus einer brasilianischen Urwaldbaumrinde. Als Naturprodukt unterlag es Schwankungen in seiner Wirkstärke, sodaß eine befriedigende Therapie auch damit nicht möglich war.

Und dann führte Deutschland ja ab 1914 Krieg mit England (und einigen anderen Staaten). Die Engländer waren so gemein und verhängten eine Seeblockade über Deutschland, sodaß das Harz nicht mehr eingeführt werden konnte und somit nicht mehr zur Behandlung der Schuppenflechte zur Verfügung stand. Zugegebenermaßen gab es damals größere Probleme, aber zumindest konnte ein Ersatz für das Naturprodukt beschafft werden: Der Chemiker Galewski fand im Steinkohlenteer einen sehr ähnlichen Stoff, nannte es Cignolin und der Hamburger Hautarzt Prof. Unna erarbeitete die beste Methode, Cignolin als Heilmittel anzuwenden.

Vor ihm hatte noch niemand so exakt und konsequent ein Medikament vor der breiten Anwendung erforscht. Es war die erste wissenschaftliche Zulassungsstudie der Arzneimittelgeschichte (!) – lange vor den heutigen gesetzlich gefassten Vorschriften (Heute wird eine Arzneimittelprüfung in Phasen durchgeführt: Phase 1: Wirkt das Medikament überhaupt? Phase 2: was ist die beste Dosis? und Phase 3: was gibt es für unerwartete Nebenwirkungen, wenn es vielen Menschen verabreicht wird? Erst danach darf das neue Medikament verkauft werden).

Nun, was kam raus?

Phase 1.

Es wirkt, es kann nur als Salbe verwendet werden, es muss mit Zusatz von Salizylsäure gegen die Oxidation durch Sauerstoff geschützt werden.

Phase 2.

Man steigert täglich die Konzentration des Cignolins, am besten von 1/16% auf 1/8%, 1/4%, 1/2% usw. bis die Haut gereizt wird. Dann Zink-Schüttelmixtur zur Beruhigung und ggf erneut einen Behandlungsdurchgang.

Phase 3.

Fast alle Patienten profitieren, es gibt keine ernsthaften Nebenwirkungen. Die gesamte Wäsche wird schwarz-fleckig.

Die stationäre Behandlung dauerte meist 3 Wochen bis zur Abheilung und hinterlies eine glatte, schuppenfreie Haut, die aber noch meist weisse Flecke aufwies, wo bis dahin Krankheitsherde bestanden hatten. Die gesunde Haut am Rande wurde – genau wie die Anstaltskleidung – dunkler, während die verschwindende Schuppenflechte noch nicht gefärbte Haut hinterlies. Natürlich hatte dieses Phänomen auch einen Namen: Woronowsche Ringe. Wenn man weitergemacht hätte, wäre gleichmässig gefärbte Haut herausgekommen, aber die Krankenhaus-Patienten wollten immer schon schnell wieder nach Hause…

Auch mit dem Aufkommen von Cortisonsalben blieb Cignolin sogenannter „Goldener Standard“, nebenwirkungsfrei und mit der längsten Dauer bis zum nächsten Krankheitsschub.

Andere Psoriasismittel wie MTX, Fumarsäure, Ciclosporin und die Biologicals sind natürlich einfacher in der Anwendung, aber haben wiederum eigene schwerwiegende mögliche Nebenwirkungen oder sind schweineteuer – oder sind 2000€ PRO MONAT für eine langjährige nicht tödliche Krankheit etwa PREISWERT??

Cignolin ist eine attraktive Alternative bei Patienten, die eine sogenannte Plaque-Psoriasis aufweisen und aus welchen Gründen auch immer nicht mit den zu schluckenden oder zu spritzenden Heilmitteln behandelt weden können.

Wegen der Verdreckung der Wäsche – und auch ziemlich sämtlicher Haushaltsgegenstände (man glaubt nicht, wo man überall anfasst!!) und des zeitlichen Aufwandes hat man die Behandlungsweise aber neu überdacht:

Minutentherapie